MBMC: Special Newsletter - October 2021

Autocult überrascht uns auch in diesem Monat wieder mit dem 1:43 Modell des Mercedes Lo3750 Omnibusses von 1936 mit Stromlinienkarosserie aus der Karosseriewerkstatt Vetter, einem Spezialisten für die Herstellung von Stromlinienkarosserien in jener Zeit.

Um die Form dieses Mercedes-Benz Lo3750 Stromlinienbusses und die einer ganzen Reihe von Bussen und Personenwagen aus den dreissiger Jahren des XX. Jhd. zu verstehen, muss man zuerst den historischen und technologischen Kontext verstehen.

Ende des XIX. Jahrhunderts, bis zum Ersten Weltkrieg, in der Anfangszeit des Automobils, waren die Formen fast aller pferdelosen Fahrzeuge eine Ableitung oder vielmehr eine Weiterentwicklung der Kutschen und pferdegezogenen Fahrzeuge, die die Menschheit bis zu diesem Zeitpunkt kannte.

Der Einfachheit halber nennen wir es hier mal, unabhängig von ihrer Größe, eine quadratische Kiste auf Rädern. Zudem musste diese pferdelose Kutsche die gleichen Straßen benutzen, die sich im Großen und Ganzen nicht wesentlich von den seit zig- Jahrhunderten gebauten Straßen unterschieden.

Als immer mehr Menschen immer schnellere Autos kauften (bitte vergleichen Sie nicht "schnellere Geschwindigkeiten" von damals mit denen von heute!), wurden die Rufe nach besseren Straßen und weniger herumfliegendem Staub oder, je nach Wetterlage, Schlamm, weltweit immer lauter, und zwar nicht nur von Automobilherstellern, Autofahrern und Reifenherstellern, sondern auch von den Fussgängern und Fahrradfahrern, von diesen sogar noch lauter.

Die 1904 vom Privatarzt des Fürsten von Monaco gegründete "Ligue contre la poussière de rue" (Liga gegen Straßenstaub) setzte sich für die Teerung und Asphaltierung von Straßen ein, die der französische Staat 1919 für seine Nationalstraßen und ab 1926 für die Straßen der Départements (Regionen) übernahm, um bessere Straßen zu erreichen.

Eine erste Schnellstraße, die eigentlich mehr seinem persönlichen Komfort und dem seiner reichen Nachbarn diente als der Allgemeinheit, wurde in den USA von William K. Vanderbilt II. gebaut, Sie führte von Mineola, einer Vorstadt von New York City, zum Ronkonkoma Lake auf Long Island. Es war eine 45 km lange, bemerkenswerte und moderne Errungenschaft, die 1908 eingeweiht wurde und den Namen "Long Island Motor Parkway" erhielt.

Der Bau moderner Straßen und Autobahnen kam in ganz Europa nach dem Ersten Weltkrieg in Gang, in vielerlei Hinsicht zunächst zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, der Hyperpinflation von 1923 in Deutschland, und dann gegen die Weltwirtschaftskrise. Die erste Autobahn, die diesen Namen wirklich verdiente, wurde in Italien zwischen Mailand und Gallarte in der Nähe des Comer Sees gebaut, und im September 1924 offiziell eröffnet. Die erste deutsche Schnellstraße - ein Vorläufer der späteren Autobahnen - von Köln nach Bonn, wurde am 6. August 1932 durch den damaligen Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer eingeweiht, und am 19. Mai 1935 folgte die erste 22 km lange Strecke einer echten Autobahn zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt.

Obwohl die Deutsche Reichsbahn den Autobahnen zunächst skeptisch, um nicht zu sagen ablehnend gegenüberstand, da man sie als Konkurrenz betrachtete, entwickelte sie bald ein wachsendes Interesse an deren Nutzung. Das Autobahnnetz galt nun als hervorragendes und im Vergleich zur Eisenbahn viel wirtschaftlicheres, wenn auch nicht unbedingt  für den Benutzer billigeres Mittel,  um kleinere Städte mit den neu entwickelten stromlinien-förmigen Schnellbussen zu verbinden, und so wurde die Reichsbahn zu einem der besten Abnehmer dieser Busse, deren Karosserien alle von spezialisierten Karosseriebauern gebaut wurden. (*)

Soviel zu einem kurzen Überblick über den historischen Kontext.

Stromlinienförmig: ein Wort, das untrennbar mit Paul Jaray verbunden ist.

Der 1889 in Wien geborene Paul Jaray nahm an einem der ersten  Universitäts-studiengänge für Luftfahrttechnik teil. Mit dem Doktortitel in der Tasche ging er zur Zeppelin-Gesellschaft in Friedrichshafen, die laut zeitgenössischen Berichten "ein Morast von Intrigen und Selbstgefälligkeit" war (heute würden wir das als "toxische Arbeitsumgebung" bezeichnen). Hier entwickelte er - trotz aller internen Problemen und fehlender Unterstützung - die bestehenden Zeppelin-Luftschiffe neu (LZ120, 1919 gebaut), indem er ihnen statt der üblichen zylindrischen Röhrenform einen tropfenförmigen Querschnitt verlieh, der sie stärker und schneller machte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wechselte er von Zeppelin in die Autoindustrie, und erhielt ein Patent für eine Autoform aus Stahlblech und Aluminium. Als Fahrgestell für sein Auto verwendete er das Ley-Modell T6 der ”Rudolf Ley Automobilfabrik AG." in Arnstadt (Thüringen). Das Ergebnis war ein komisch hoher und schmaler Wagen mit dem gleichen tropfenförmigen Querschnitt, den er schon bei Zeppelin propagiert hatte. Der Luftwiderstandsbeiwert des Wagens, so komisch dieser auch aussah, betrug nur erstaunliche 0,29. 

Für das Jahr 1922 heißt es im Firmenbericht stolz: "1922 setzt Ley mit dem Bau des ersten Stromlinienautos einen Meilenstein in der Automobilgeschichte." 

1927 hatte Jaray ein Büro in New-York eingerichtet, und besaß ein US-Patent auf Stromlinienfahrzeuge.

Mit seinen Ideen erregt er die Aufmerksamkeit von Hans Ledwinka (siehe Tatra T77, T87, T97), Ferdinand Porsche (Volkswagen Typ 1) und anderen, die seine Ideen in ihre Serienfahrzeuge einbauen. Der Audi Front (1934), der Mercedes-Benz 200 (1934), der Opel 2L (1936) und sogar der Maybach SW35 (1935 + 1936), die Tatras, die BMWs,  die DKWs, Peugeots, usw. hatten alle eine nach den Jaray-Prinzipien gestaltete Version ihrer Fahrzeuge.

Walter Vetter machte sich im Alter von 26 Jahren mit sieben Mitarbeitern sebstständig und gründete 1922 eine Fahrzeug- und Karosseriefabrik. In dieser Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entwickelten sich die Fahrzeug- Technik und Fertigungsmethoden des Fahrzeugbaus in einem rasanten Tempo. Diese Entwicklung des Kraftfahrwesens umfasste auch die Formgebung (auf neudeutsch: „das Design“), und betraf sämtliche Fahrzeugarten, vom PKW über Omnibusse, Flugzeuge, bis hin zu Sonderfahrzeugen. Zahllose experimentelle Fahrzeuge wurden gebaut, und Lösungen gefunden, die einen echten Forstschritt bedeuteten, und die zum Teil bis heute nachhallen. Zu diesen gehören die Stromlinienaufbauten. Vetter, der besonderen Wert auf die Kundenwünsche legte, und darauf bedacht war, nur beste Qualität zu bieten, hatte nicht umsonst als Firmen Motto „Vetter-Busse nach Mass“. (Mehr zu Vetter im Nachtrag).

Paul Jaray hatte auch an der Stromlinienform von Bussen gearbeitet, insbesondere von Reise-bussen, die verschiedene Städte miteinander verbanden. Einer der wichtigsten Abnehmer von Omnibussen mit Jaray-Karosserie war Daimler-Benz für Busse, die für die Nebenstrecken der Reichsbahn bestimmt waren, die die Deutsche Bahn mit Schnellbuslinien statt mit Nahverkehrszügen bedienen wollte.

Daimler-Benz lieferte seine Fahrgestelle an Vetter, der dann die Stromlinien-karosserie aufbaute. Andere Firmen, als Beispiel seien hier nur Opel, MAN, und Büssing-NAG genannt, taten das Gleiche. Einige ihrer Reisebusse wurden im aufkommenden Frontlenker-Trend gebaut, (der besonders im Ausland geschätzt wurde) andere mit den traditionell vorstehenden Motorhauben. Alle folgten  jedoch den Ideen von Jaray, und trotz einiger leichter Unterschiede im Design ähnelten sich alle. Wie bereits erwähnt, übernahmen die großen Hersteller die Ideen von Jaray auch für ihre Serienfahrzeuge. In dieser Hinsicht ist es bemerkenswert, dass der 1935 von Vetter auf dem Fahrgestell  des F5 der Auto-Union Stromlinienwagen, ebenso wie der Opel 2 Liter von 1936 vom Design her quasi genau wie der Mercedes-Benz Lo 3750 von 1936 aussahen.

Außer bei den "Silberpfeilen"-Rennwagen gefielen die absonderlichen stromlinienförmigen Autos nicht jedem.

Zudem scheint die Kraftstoffersparnis die Kunden wenig interessiert zu haben, wie das Faksimile eines in der Zeitschrift "Motor Kritik" Nr. 6 von 1936 veröffentlichten Artikels zeigt:

"Der Hersteller" behauptet, der Käufer habe so wenig Interesse an der kraftstoffsparenden Kraftfahrzeugform, dass sich deren Herstellung nicht lohne, und "der Käufer" wirft "dem Hersteller" vor, ihm keine Version zu einem erschwinglichen Preis zu liefern.“ Es folgt ein Vergleich der Kraftstoffeinsparungen zwischen dem serienmäßigen Opel 2L und dem identischen Opel 2L, aber mit Vetter-Stromlinienkarosserie, gemessen bei verschiedenen Geschwindigkeiten auf der Autobahn. Mit rund 10 % Unterschied war der Unterschied nicht zu vernachlässigen. Ein weiterer Grund für den mangelnden Kundenzuspruch war sicherlich die Stromlinienform: Für die große Mehrheit der potenziellen Kunden sahen diese Autos einfach zu seltsam aus. Nur ein einziger Wagen, der Adler 2,5 Liter (Stahlkarosserie von Ambi-Budd, Berlin), verkaufte sich zwischen 1937 und 1940 mit 5.295 Stück verhältnismässig  gut. Sicherlich wäre der DKW F9 auch ein Erfolg geworden, aber er kam erst 1939 heraus. Er kam nach dem Zweiten Weltkrieg jeweils mit leichten Änderungen ab 1953 als DKW F91 in der Bundesrepublik, und ab 1955 als IFA F9 in der DDR zum Erfolg.

Auf jeden Fall war Paul Jarays Einfluß auf das Design von Autos und Reisebussen unübersehbar, und ist es in der einen oder anderen Form bis heute geblieben .                                        

 

<< Mercedes Lo2600  (Aufbau Kässbohrer) 

Opel 2l (1936)                                                       Opel 2l Jaray (1936)

Mercedes-Benz O3750 Stromlinie VETTER -  IAMA Berlin 1936

 

Autocult hat diesen Mercedes Lo3750 Bus (in 1:43) originalgetreu verkleinert. Er ist ein Muss für jeden Bus- oder Reisebussammler, zumal er die "Stromlinien"-Periode des Automobildesigns zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg widerspiegelt, eine Periode, in der sich nicht nur die Technik, sondern auch das Design und der Kundengeschmack massiv entwickelten.

Diese damaligen Entwicklungen und errungene Fortschritte hallen bis zum heutigen Tage nach.

Alle Modellaufnahmen: Vorproduktionsmuster

 

Für Ihr Interesse hier ein Nachtrag: ein wortwörtliches Zitat aus der "Werksgeschichte der Firma Karosserie Vetter":

…1932 will der Rennfahrer Manfred von Brauchitsch am bekannten Avus-Rennen der ADAC in Berlin teilnehmen. Doch sein Mercedes SSKL scheint gegen die Auslandskonkurrenz hoffnungslos unterlegen, Aber mit einer von König-Fachsenfeld entworfenen und von Vetter gebauten Karosserie versehen erreicht von Brauchitsch’s SSKL eine damals sagenhafte Durchschnittsgeschwindigkeit von 194,4 km/h und siegt überlegen. Dies bringt viel Lob und Anerkennung ein. Sein Unternehmen erhält weitere Aufträge für Stromlinienkarosserien für Renn- und normale Personenwagen, die seine Angestellten auf den verschiedensten Fahrgestellen aufbauen.

Auch seinen eigenen Mercedes lässt er mit einem Stromlinienaufbau versehen...Tüftler, wie Walter Vetter ist, will er die Stromlinie noch weiter voranbringen. Mit König-Fachsenfeld entwickelt er daher einen Stromlinienaufbau für Busse, den er erstmals 1935 vorstellt. Als Basis dient ein Mercedes Lo3750, der dank Vetters Stromlinienkarosserie, angetrieben durch einen serienmäßigen OM 67/3-Diesel mit 100 PS eine Spitzengeschwindigkeit von 110 km/h erreicht. Die Vetter Karosserie zeichnet

sich dabei durch eine ungleich harmonische Linienführung aus, kombiniert sie doch meisterhaft die Jaray-Tropfenform mit dem von Professor Kamm entwickelten so genannten K-Heck. Das Heck des Buses ist dadurch zwar nicht perfekt aerodynamisch, aber den Entwicklern war in diesem Fall die Optik

 

wichtiger. Ein weiteres Charakteristikum, das alle Vetter-Stromlinienbusse auszeichnen wird, ist die dreiteilige Frontscheibe mit dem kleinen zentralen Fenster. Sie geht direkt auf eine Idee von Professor Jaray zurück. Dass Walter Vetter einmal mehr den richtigen Riecher hatte, zeigt sich schnell.

Die Kundschaft ist begeistert vom Stromlinienbus, so dass zahlreiche Bestellungen eingehen. Daneben tun die neuen Schnellbuslinien des gerade entstehenden Autobahnnetzes ein Übriges, um den Bedarf an schnellen Stromlinienbussen wachsen zu lassen…

 

Quellen: Mercedes-Benz AG; Archiv Firma Karosserie Vetter; „Vetter - die Geschichte eines Lebenswerkes“; Konrad Auwärter GmbH & Co. KG.; „Motor Kritik“ 1936; Archiv Adler Werke; Deutsche Reichsbahn; Archiv Ley Automobil Fabrik, Wikipedia, others/andere.

Fotos: Alamy, Mercedes-Benz, Opel AG, Vetter, Kässbohrer.

Besonderen Dank an: to Volkhard Stern for the Reichsbahn Schnellbus.

Notes: alle Modellaufnahmen stammen von einem Vorproduktionsmuster

(*): Aufbauten meistens produziert von: Vetter, Gaubschad, Wendler, Kässbohrer, Erdmann & Rossi, Ludewig, Ürdingen, NWF, und Sindelfingen

Mercedes-Benz Schnellbus-Prototyp Lo 3100 von 1934 am Südausgang des Frankfurter Hauptbahnhofes.                                                                                             Foto: Privatsammlung Volkhard Stern, Bonn

Bonus: Hiernach ein Zeitungsbericht von 1934 über Stromlinie und dem Mercedes-Benz 200 Jaray.  Zur Erinnerung: Autocult hat diesen Wagen als 1:43 Modell bereits vor einiger Zeit herausgebracht. Soweit mir bekannt, sind zwar keine mehr vorhanden, wer aber dieses Modell in seiner Sammlung hat, für den ist der Artikel vielleicht interessant, und der Leser mag, wenn er diesen Bericht liest einen, vielleicht neuen Blick auf sein Modell werfen. (Auf den nächsten 2 Seiten).

Sorry: dieser Bericht ist ausschließlich auf Deutsch erhältlich.

 

(с)BERND D. LOOSEN